KI im Museum: Kreative Perspektiven auf der ArtsIT

Nachlese zur online Konferenz „ArtsIT“ über Theorie und Praxis des Digitalen im Bereich Kulturerbe und Kulturschaffen.

Die ArtsIT Konferenz der Europäischen Allianz für Innovation wurde vom Badischen Landesmuseum (BLM) und der Hochschule Karlsruhe ausgerichtet. Sie beschäftigte sich mit einer großen Bandbreite an Themen: Es ging um Medienkunst, Virtuelle Realität, Gaming, Partizipation, Inklusion und Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Bereich Kulturerbe und Kulturschaffen. 31 Beiträge warteten an zwei Tagen auf das internationale Teilnehmerfeld. Die Beiträge wurden in einem Tagungsband veröffentlicht und finden sich auf dem Youtube-Kanal der EAI.


Das Team vom Forschungsprojekt CHIM war ebenfalls dabei. Uns hat die Zusammenstellung der Beiträge gut gefallen: Theoretische Reflektionen standen konkreten Projektberichten gegenüber. Es ging sowohl um das Vermitteln, als auch um das Schaffen von Kunst mit digitalen Mitteln. Die Beiträge waren in Themenblöcke untergliedert und wurden im Anschluss von den Teilnehmenden diskutiert.
Souverän und leidenschaftlich moderierten Sonja Thiel und Johannes Bernhardt vom BLM die Veranstaltung, unterstützt von Matthias Wölfel von der Hochschule Karlsruhe, der immer wieder wichtige Denkanstöße gab. Die Moderator*innen verbanden die unterschiedlichen Themeneben und erleichterten so den Switch zwischen den digitalen Welten, über die bei der ArtsIT berichtet wurde.

PARTIZIPATION: Aus Besucher*innen Nutzer*innen machen

Im Hinblick auf digitales Vermitteln im musealen und kulturellen Kontext wurde über die gesamte Veranstaltung immer wieder herausgestellt, wie wichtig es ist, Besucher*innen zu aktivieren. Schlagwort Partizipation. Der Museumsbesuch soll keine didaktische Einbahnstraße sein. Es geht vielmehr darum, Besucher*innen zu involvieren, zu berühren, Teilhabe zu ermöglichen, um den mitunter respekteinflößenden Lernort Museum zu entstauben, zeitgemäß zu definieren und für neue Besucher*innen zu öffnen. Dieses Ziel ist nicht neu, bekommt aber vor dem Hintergrund sich wandelnder Anforderungen an Museen im Zuge der Digitalisierung eine immer größere Bedeutung.

Screenshot mit Computersprache
ArtsIT Keynote: Das Politische im Code
UNCOMPUTABLE. Politik und Geschichte des Digitalen

In der Keynote der ArtsIT sprach Alexander Galloway über Politik und Geschichte des Digitalen. Er stellte seine Veröffentlichung „Uncomputable. Play and Politics in the long digital Age“ vor, in der er einen techniksoziologischen Abriss zur Digitalisierungshistorie gab und die politische Dimension dieser Entwicklung aufzeigte. Denn natürlich ist der Umbruch, der mit der Digitalisierung einher geht, nicht nur medialer und technischer Natur, sondern auch in höchstem Maße politisch. Im Bereich von Museen und Kultureinrichtungen kommt das im Digitalisierungs-Diskurs bisweilen zu kurz. Oft geht es ja zunächst darum, überhaupt Kompetenzen im digitalen Feld aufzubauen (und zwar möglichst flott).

Galloway beschreibt, wie im Zuge der Digitalisierungen neue Standards entstanden sind, wie zum Beispiel das allen bekannte „http“-Protokoll, ohne das niemand diesen Artikel lesen könnte. Die Kontrolle über diese neuen Standards und Techniken bedeutet Macht, die – ein Charakteristikum des Digitalen – unglaublich schnell kumuliert. Sie konzentriert sich dabei nicht selten außerhalb (supra)staatlicher Einrichtungen bei wenigen Konzernen oder einzelnen Personen. Aktuell sei hier der Tweet von Mykhailo Fedorov genannt, der sich an Elon Musk wendet und um Unterstützung bei der Internetversorgung bittet.

Screenshot Twitterbeitrag Elon Musk
Quelle: Twitter

Informationen: Die Währung des Digitalzeitalters

Hier zeigt sich nicht nur, dass sich das Internet nicht mehr so einfach abschalten lässt, sowie in verstörender Ambivalenz das neue Niveau von Echtzeit-Kommunikation und Propaganda während eines Krieges im Informationszeitalter. Hier zeigt sich auch die Macht eines einzelnen Menschen, emporgeschwemmt durch die Digitalisierung. Auch wenn es abgedroschen klingen mag: Wir erleben mit der Digitalisierung eine epochale Wende, die sich nicht nur auf Technologie beschränkt, sondern alle Bereiche der Gesellschaften betrifft, nur eben nicht alle gleich im Hinblick auf Teilhabe, Chancenverteilung und Macht. Galloway nutzt hier das durchaus eingängige Bild der Kolonisierung:

„And, while computers have colonized the globe in recent years, they also excel at various practices of exclusion.“

Computer kolonisieren die Welt und es entsteht viel Neues: Die einen bekommen nahezu unbegrenzten Zugang zu Informationen. Die anderen werden zum „digitalen Prekariat“ und verbessern als crowdworker die großen KI Modelle von Google und Co. Informationen und Daten sind die Währung einer neuen Epoche. Wer sie kontrolliert hat Macht.


Menschliche Hand und Hand eines Roboters zeigen aufeinander
Hello Metaverse! (Foto: Tara Winstead / Pexels)

Digital und Analog: Zwei Seiten einer Medaille

In seiner Keynote wendet sich Galloway auch dem Thema Digital und Analog zu, und erklärt es zu zwei Seiten derselben Medaille. Denn während manch einer im Museum noch den Gegensatz von Analog und Digital beschwört, hat Marc Zuckerberg bereits das Metaverse ausgerufen. Dort fließen Analog und Digital ineinander, und eins ist nicht mehr ohne das andere denkbar. Was übrigens nicht heißen soll, dass man nicht bewusst Grenzen zwischen beidem setzen könnte, etwa, wenn es darum geht, den Museumsraum digital abzubilden oder nicht. Nur sollte man die Gesamtheit einer Ausstellung oder eines Museums heute als Amalgam aus analogen und digitalen Angeboten begreifen. Galloway löst den angeblichen Gegensatz von Digital und Analog elegant auf, indem er beschreibt, dass die ältesten Computer analog funktioniert haben.

KI im Museum. Wohin geht die Reise?

Neben der thematisch weitgreifenden Keynote, richtete sich ein konkreter Fokus der ArtsIT auf KI im Museum: Einsatzfelder, Nutzen, Risiken, Nebenwirkungen. Beginnen wir künstlerisch: Claudia Robles-Angel und Uwe Seifert präsentierten das Projekt Reflexion: Eine KI-gesteuerte Licht- und Soundinstallation „reagiert“ in Echtzeit auf die Herzfrequenzen von Nutzer*innen und thematisiert so subtil das Zusammenspiel von Humanoiden und Computern.

Womit wir bei Mensch-Maschine-Schnittstellen im visuellen Bereich sind. Hier forschen Teams der Hochschule Karlsruhe unter anderem daran, wie verschiedene Visualisierungen von Avataren in der Virtuellen Realität auf die Nutzer*innen wirken. Wie sollte das virtuelle Gegenüber aussehen, damit es, beispielsweise, glaubhaft wirkt? Außerdem arbeiten die Forschenden an der Echtzeit Erkennung von Gesichtsausdrücken , um diese auf VR-Avatare zu übertragen, damit die Avatare im Cyberspace auch nonverbal kommunizieren können. In diesen Arbeiten sehen wir viel Potenzial.

Älterer Mann mit VR Brille
VR bald auch ohne Brett vorm Kopf (Foto: Andrea Piacquadio / Pexels)
Reales und Virtuelles mischt sich

Denn, wenn man bald keine realitätsaussperrenden Kästen mehr im Gesicht trägt, sondern schicke iBrillen, die Virtuelles unauffällig aber passgenau zuspielen, sieht man besser, wohin die Reise gehen wird: KI wird maßgeblich dazu beitragen, die reale und virtuelle Welt verschmelzen zu lassen. Schon heute gibt es KI-generierte Fotos, bei denen niemand mehr sagen kann, ob wir einen echten Menschen sehen oder nicht. Es gibt sogar – nicht ganz ernst gemeinte – Sammlungen im Netz, die scheinbar Reales zeigen, das aber virtuell erstellt wurde.

Kopf einer Frau, durch KI generiert
„Mich gibt’s gar nicht!“ KI generiertes Foto. (by generated Photos)

Mit der Vermischung von Virtuellem und Realem betreten wir, gerade im Museum, Neuland. Positiv ist: Der Zugang zu (kulturellen) Räumen und Objekten wird potentiell erleichtert. Der Möglichkeitsraum wird erweitert. Der Preis ist die Produktion von Daten. KI generiert Nutzerdaten, die die KI sogleich evaluieren kann. Ob diese so in Gang gesetzten Datenanalyse-Selfloops immer positiv sind, bleibt zu hinterfragen.

KI muss kontrollierbar bleiben

In diesem Zusammenhang geht es auch um Kontrolle von KI. Im CHIM-Projekt geben wir zum Beispiel die Möglichkeit, die Chatbot-Antworten zu bewerten: mit Kommentar oder einfach per Daumen rauf, Daumen runter. Diese Bewertungen fließen nicht automatisiert in das CHIM System zurück. Wäre es nicht spannend zu erproben, was passieren würde, wenn CHIM seine eigenen Inhalte automatisiert verändern könnte, auf Basis einer Analyse der Antwort-Ratings und anderer Informationen aus dem Nutzer*innenverhalten? Für uns ist das keine Option. Dass man so etwas kann (oder darf), heißt nicht, dass man es auch tun soll. Das Risiko, dass die KI Aussagen fehlinterpretiert und manipuliert wird wie im Falle des rassistisch pöbelnden Twitter-Chatbots „TAY“ ist einfach zu groß. Gerade heute im „Post-Truth-Age“ sollten Aussagen und Informationen zum kulturellen Erbe hinsichtlich Validität, Überprüfbarkeit, Transparenz, Evidenz und allgemein der Einhaltung wissenschaftlicher Standards genau beleuchtet werden. Das gilt gerade beim Einsatz von KI im Museum.

Computerbildschirmansicht
Wie kontrolliert man KI, die sich selbst verändert? (Foto:Markus Spiske / Pexels)


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